Visionen für Hückeswagen – Politische Notwendigkeit oder fauler Budenzauber?

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AUSSENANSICHT (Von Norbert Bangert, für schlossjournal.de). Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt würde möglichweise von einer Krankheit sprechen, die einfach nicht auszurotten ist: Parteien haben sie, wenn sie ihr Wahlprogramm der Öffentlichkeit vorstellen, Bürgermeister haben sie, wenn sie kandidieren wollen und sogar Architekten und Planungsbüros sind nicht davor geschützt, wenn sie das neueste Bauprojekt für die Stadt vorstellen. Die Vision. Von den drei Definitionen, die im Duden aufgeführt sind, ist weder die „übernatürliche Erscheinung als religiöse Erfahrung“ noch die „optische Halluzination“ gemeint. Sondern es ist die – so wörtlich – „in jemandes Vorstellung besonders in Bezug auf Zukünftiges entworfenes Bild“. Organisationen oder Personen entwerfen also ein Bild (der Stadt), wie man sich vorstellt, dass sie später einmal aussehen könnte. In der BM-Ausgabe vom 15. April 2015 etwa warf die FaB dem Bürgermeister Dietmar Persian vor, dass ihm eine Vision fehlen würde, das Berufskolleg Hückeswagen stellte auf Ihrer Homepage eine „Schulvision“ vor, und ein Journalist des Remscheider Generalanzeigers fordert 2014 einen interviewten SPD-Politiker in einer Frage sogar auf, nun mal eine „Vision“ zu beschreiben, wie denn die SPD-Ratsbeteiligung bis 2020 aussehen soll.

Die Vision als „natürliche“ Aufgabe von Parteien?
Eine Aufgabe von Politik und Politikern ist es also, so scheint es, Zukunftsbilder für eine Stadt oder einen Teilbereich einer Stadt zu entwerfen. Und was ist, wenn sie keine Vision präsentieren? Werden sie dann nicht gewählt? Kein Meinungsforscher hat dem Wähler wahrscheinlich jemals diese Frage stellen: „Würden Sie eine Partei wählen, die keine Vision von der Stadt hat?“, könnte so eine Frage etwa lauten. Möglicherweise haben sie gefragt: „Würden Sie eine Partei wählen, die kein Wahlprogramm für die Stadt hat?“. Ein weiteres Problem kommt hinzu: Die Politiker können immer nur ihren aktuellen Wissensstand in eine Vision mit einbringen, allenfalls können sie vermuten, was denn in der nächsten Zeit so beschlossen wird. Nehmen wir ein konstruierte Beispiel aus Hückeswagen:

Ein konstruiertes Beispiel aus Hückeswagen
Der Förderverein der Stadtbibliothek – und sagen wir mal die FDP – hat 2015 die Vision, das nach 2020 die Stadtbibliothek mit der Katholischen öffentlichen Bücherei fusionieren soll. Doch 2020 gibt es die FDP nicht mehr im Stadtrat, weil die Parteispitzen im Bund die Partei ruiniert haben, das Ausleihsystem hat sich überholt, weil in den fünf Jahren die Digitalisierung alle Haushalte zu 95% durchdrungen hat und die Katholische Kirche muss aufgrund des Mitgliederschwundes dermaßen sparen, dass sie alle diese Einrichtungen schließt und ebenfalls auf die elektronische Ausleihe setzt. Nun kann sich so etwas aber genauso in die andere Richtung entwickeln: Die FDP gewinnt in den nächsten fünf Jahren enorme Wählerschichten, weil sie glaubhaft einen humanen Liberalismus vertritt, die Katholische Kirche kann den Mitgliederschwund stoppen, weil aufgrund der Strahlkraft des Papstes die Menschen zur Kirche zurückkehren und die Digitalisierung kann nicht alle Bevölkerungsschichten durchdringen.

Die letzte Chance der Visionäre: Wahrscheinlichkeiten
Es ist müßig darüber zu diskutieren, welche Entwicklung wahrscheinlicher ist, denn wir wissen es nicht. Für die Politiker bleibt also nur übrig, auf Wahrscheinlichkeiten zu setzen. Wie wahrscheinlich ist es, dass keine neuen Bürger mehr nach Hückeswagen ziehen, weil die Stadt nicht an den ÖPNV angebunden ist? Oder ist es wahrscheinlicher, dass der ÖPNV 2025 keine Rolle mehr spielt, weil die selbst fahrenden Autos sich durchzusetzen beginnen und auch Menschen, die keinen Führerschein besitzen, nun damit fahren können? Brauchen wir überhaupt noch ein Handelskonzept für die Innenstadt, wenn es sowieso keine Geschäfte mehr gibt? So könnte es doch sein, dass wie selbstverständlich die Waren per Internet direkt nach Hause geliefert werden und sich alles andere nicht mehr lohnt?

Wie soll Hückeswagen 2020 oder 2025 aussehen? Fragen Sie Ihren Politiker und er wird zwar etwas antworten aber im Grunde genommen weiß auch er: Es ist Kaffeesatzleserei. Möglicherweise ist es tatsächlich die richtige Politik aus der augenblicklichen Situation das Beste zu machen. Dieser letzte Satz ist mir etwas unangenehm, ein Uwe Ufer würde jetzt wahrscheinlich stark protestieren und auch der Chef eines Planungsbüros wird auf seine Projekte verweisen. Aber genau dieser Chef des Planungsbüros ist 2025 arbeitslos, weil man 2020 ein Factory Outlet Center eröffnet hat, niemand aber mehr dort kauft. Was bleibt, ist die einzige Konstante, die nicht binnen 10 Jahren über Bord geworfen werden kann: die städtebauliche Struktur. Hier sind tatsächlich Visionen gefragt. Doch wenn Sie mich jetzt fragen: Was meint denn der Autor, wie soll die städtebauliche Vision in Hückeswagen für 2030 aussehen? Dann wird er kleinlaut antworten: Es soll eine lebenswerte Stadt sein, doch wer weiß schon, wie die Menschen 2030 leben wollen!

4 Gedanken zu „Visionen für Hückeswagen – Politische Notwendigkeit oder fauler Budenzauber?“

  1. Visionen über Visionen. Diese sind auf jeden Fall ein wichtiger Teil des menschlichen Handelns und keinesfalls beschränkt auf Politiker, etc.
    Erst Visionen, nicht zu verwechseln mit Träumereien oder gar Fantastereien, lassen uns die Zukunft planen. Das ist ohne die geistige Vorstellung des Resultats einfach nicht möglich. Das latainische Wort Visio bedeutet übersetzt ja nun einmal Vorstellung. Wer nun einen guten Job machen will, der nutzt seine Visionen der Zukunft unter Einbeziehung möglichst vieler relevanter Aspekte.
    Anders macht es keinen Sinn, sonst sind solche Planungen einfach nicht „zuende gedacht“.

    Ich greife einfach einmal die Vision der selbstfahrenden Autos, eines selbst bestellenden Kühlschranks und auch den Wegfall örtlicher Geschäfte auf.
    Im Verlauf dieser Vision sehe ich dann aber keine Vorteile, ganz im Gegenteil.
    Nur eine verwaiste Stadt, denn was sollen die Menschen dort; sie werden zur eventuell noch vorhandenen Arbeit von einem Zukunftsgefährt eingeladen und abtransportiert; sie sitzen gelangweilt in ihren Wohnungen und werden automatisch mit Nahrungsmitteln versorgt; usw.
    Klares Fazit: Degradierung vom Menschen zum Lemming!
    Eine furchtbare Vorstellung, unsinnig und menschenverachtend.

    Die Vision eines Stadtplaners muß in erster Linie immer das Wohl der Bürger sowie die damit verknüpften sowohl funktionalen als auch emotionalen Aspekte berücksichtigen. Keine leichte Aufgabe in Anbetracht der vielen unterschiedlichen Visionen der übrigen Menschen. Das muß letztendlich so weit gedacht werden, daß man insgesamt auf den sprichwörtlichen „gemeinsamen Nenner“ kommt.

    Daher: Daumen hoch für Visionäre mit Realitätssinn.

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  2. Beide Autoren haben mit ihrem jeweilig letzten Satz den Nagel auf den Kopf getroffen…
    1. Es soll eine lebenswerte Stadt sein (doch wer weiß schon, wie die Menschen 2030 leben wollen)
    2. Daumen hoch für Visionäre mit Realitätssinn

    Unter Beachtung der Lebensweisheiten „Im Wandel der Zeit kommt alles wieder“ in Kombination mit dem Urtrieb von uns Menschen ergibt sich die Quintessenz; Was immer es auch ist, auch in der Stadt von 2030 muss was los sein! Denn der Menschen Sehnsüchte sind; Sehen & Gesehen werden, dabei sein wollen, denn letzten Endes ist der Mensch ein Gewohnheitstier; „Wir Menschen sehnen uns nach den Bergen & dem Meer, suchen Ruhe & Entspannung wie gleichzeitig auch das Gewühl – und lassen uns von mancher Mode mitreißen. Sie ist es, die oftmals unseren Alltag regiert!“ Und dennoch gilt; Es kommt eben alles wieder!

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  3. Jochaim Mutz hat in seinem Kommentar eine Perspektive eröffnet, die auch Aufgabe einer Stadt sein kann bzw. sollte über die man eigentlich viel zu wenig nachdenkt, weil es einem selbstverständlich erscheint. Er nennt zwei Dinge, die Menschen von einer Stadt erwarten: „Sehen und gesehen werden“ und „in der Stadt des Jahres 2030 muss was los sein“. Beide Ansprüche, die Joachim Mutz hier formuliert, sind im weitesten Sinne Ansprüche, die Menschen haben, um ihre Sozialkontakte zu pflegen und zu erweitern. Nach dem Motto: Der Mensch lebt nicht allein sondern im Verbund mit anderen, also muss er mit ihnen in Interaktion treten. Und da sei nun, wenn ich ihn richtig verstehe, die Stadt der Ort, wo er seine Ansprüche befriedigen kann.
    Tatsächlich kann nur ein gemeinsamer Treffpunkt von Menschen so etwas leisten. Nun leben Menschen aber auch in einer Stadt zusammen, weil sie so gemeinsam die Herausforderungen der Gesellschaft besser bewältigen können. Es gibt Arbeitgeber in der Nähe, man kann sich etwas zu essen kaufen, man hat einen Wohnort, wo auch schon andere wohnen, etc. Wenn nun eine Stadt diese Ansprüche nicht mehr erfüllt, ist sie dann noch Stadt?
    Schauen wir in ein mögliches Szenario 2030: Das Essen kann ich mir immer und zu jeder Zeit nach Hause liefern lassen, Arbeiten kann ich (wie heute auch schon) prinzipiell in der Nachbarstadt – und wohnen kann ich auch auf dem Land, z.B. in Karrenstein oder Voßhagen. Die Frage ist doch die: Was muss eine Stadt im Jahr 2030 tatsächlich leisten und was will Hückeswagen davon abdecken? Erst wenn sich Leute mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen, kommen wir in den Bereich, den man Vision nennt.

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  4. Herausforderung angenommen, Norbert Bangert ! „Stadt“ definiert sich tatsächlich in zig Bedeutungen; Gebietskörperschaft, geographischer Ort, Wohnort, Einkaufsstadt, städtisches Flair, Treffpunkt, Lebensmittelpunkt – wenn Sie so wollen, habe ich mich aufgrund der eindeutigen Fragestellung m.E. richtigerweise für die zuletzt genannten Bedeutungen entschieden. Ihr Kommentar bestätigt das eigentlich auch, denn genau genommen hätten Sie in Ihrem Bericht eigentlich die Frage stellen müssen, „Wie wollen wir 2030 leben ?“ (Ein)Verstanden ?
    …und vor dem von Ihnen aufgezeigten möglichen Szenario sollte man die Gesellschaft warnen; Bei aller Bequemlichkeit & Vereinfachung sollte man die üblen Folgen der Abschottung & Vereinsamung nicht verkennen ! Der so begehrte & oftmals vorschnell gelobte Fortschritt kann letztlich ein fataler Rückschritt sein ! Ähnliches gilt für Visionen. Denn seit Albert Einstein weiß man es; „Planung ersetzt den Zufall durch Irrtum“ – Stadtentwicklung ist eine höchst anstrengende, spannende Aufgabe !

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